Lost authenticity, Fotodruck auf 3mm Alu-Verbundplatte, 800 x 1200 mm, 2014-2015 Glatzen, Sinnbilder für Rechte, Hooligans, Aufwiegler. Glatzen sind aber auch das Symbol für Gefangene, unterdrückte Menschen in Lagern. Abscheren des Haupthaars gilt bis heute als ein politisches Instrument der Entwürdigung, das von allen Institutionen, die den totalen Verlust von Persönlichkeit anstreben, vom KZ bis zur Armee, eingesetzt wird. Kahle Köpfe sind auch Indizien für Krankheiten. Daher rührt auch, dass kahle Köpfe Mitleid oder Hass und Angst auslösen können. An Haaren haben sich bereits Revolutionen festgemacht, Haare als Symbol für Freiheit und Gleichheit. Eva Maria Schartmüller ́s Arbeit LOST AUTHENTICITY arbeitet sich an den verschiedenen Ansätzen ab und überlasst uns ein reduziertes, nüchternes Schwarzweiß Foto eines kahlen weiblichen Schädels von Hinten. Wie ein Fetisch liegt ein eingerollter Teppich, eine aus menschlichem Haar gefilzte Matte, neben dem Foto, wie aus dem Bild gefallen. Kopf und Haar wurden voneinander isoliert, was ursprünglich zusammengehört fällt auseinander. Die Kombination zeugt von Verlust, Unterdrückung, Entindividualisierung. Mit dem Verlust der Authentizität verliert der Mensch sowohl Würde als auch Wurzeln, ein Trauma entsteht. Normierung wird unter dem Deckmantel der Globalisierung legitim, Individualisierung weicht einem verqueren Nationalgedanken. (Denise Parizek / Curator 2021)
Ohne Titel (Wandwirkerei, 46 x 30,5 cm, 2021) Diese im Jahr 2021 [2020?] entstandene Arbeit thematisiert das Phänomen der Gastarbeiter, die nach dem Krieg in Schüben Jugoslawien verließen und am häufigsten nach Deutschland und Österreich auswanderten. Sie folgten Berufen, für die sie gut bezahlt wurden und meistens planten sie dabei, Geld zu sparen, das sie nach ihrer Rückkehr für den Erwerb von landwirtschaftlichen Maschinen, Autos, der Renovierung des Hauses oder für die Gründung eines eigenen Unternehmens im Heimatland verwenden wollten. Nicht selten wurde das Bild von einem unübertrefflichen Paradies im Sozialismus durch den realen Zustand nach bei jeder Rückkehr in ihre Heimat getrübt und daher entschieden sie sich großteils dazu, im Ausland zu bleiben. Dadurch zeigten sie strukturelle Schwächen der jugoslawischen Wirtschaft und vor die Unfähigkeit des Staates auf, eine hinreichende Anzahl von Arbeitsplätzen zu sichern. Ihre nationale Selbstbestätigung brachten die Gastarbeiter durch Megalomanie, Kitsch-Spektakel sowie durch die Musikrichtung Turbo-Volksmusik („turbo folk“) zum Ausdruck. In diesem konkreten Fall ist die Hochzeit eines Rückkehrers als Grundlage für die Stärkung der niedrigsten Zugehörigkeitsgefühle dargestellt. Der gezeigte Gobelin ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit Rajka Stanić und Bestandteil des Master-Projekts "Zeitgeist".
Studie einer Skulptur: Für Bretteldorf (Video, 00’22“, 2019, erstmalige Ausstellung) Bretteldorf war Ende des 19. Jahrhunderts eine wilde Siedlung und Müllablage am Rand Wiens. Die Anwohner lebten im Schlamm in Hütten, die aus Blech, Brettern und Kartons gezimmert wurden und bestritten ihren Unterhalt vorwiegend durch den Verkauf von wiederverwerteten Stoffen, die sie auf der Deponie fanden. Wegen der rechtswidrig entstandenen Siedlung versuchte die Stadtverwaltung mehrmals, die Bretteldorfer Gemeinschaft umzusiedeln. Obwohl sie mit ihren landwirtschaftlichen Produkten dabei half, Wien nach dem Ersten Weltkrieg mit Lebensmitteln zu versorgen, initiierten die Stadtbehörden im Jahr 1926 einen energischeren Versuch zur Umsiedlung, doch die Gemeinschaft schaffte es, sich im sogenannten „Bretteldorfer Krieg“ eigeninitiativ zu organisieren. Im Zweiten Weltkrieg wurde Bretteldorf zu einer berüchtigten Hinrichtungsstätte. Nach jahrelangen wiederholten erfolglosen Versuchen wurde die Bretteldorfer Gemeinschaft 1964 anlässlich der Ausrichtung der größten Internationalen Gartenschau in Wien (WIG 64) umgesiedelt. Bretteldorf wurde niedergebrannt und geräumt, an dessen Stelle wurde eine Parkanlage errichtet (der heutige Donaupark) – ein bedeutendes Ereignis in der Nachkriegszeit in Österreich. Heute sind viele Wahrzeichen der Ausstellung abgebaut oder umfunktioniert worden. Die Kartonskulpturen stellen eine Studie ephemerer Denkmäler für die verloren gegangene Bretteldorfer Gemeinschaft dar, auf der Grundlage von Fotounterlagen von WIG 64, die aus dem Archiv der Wiener Stadtgärten und des Österreichischen Gartenmuseums stammen.
Utopian Technique (Readymade-Objekt: Reisepass, 12,5 x 9 cm, 2021) Die Idee ist, dass den Zuschauer anzuregen, die Möglichkeit der Überwindung von aufgezwungenen – sowohl leiblichen als auch geistigen – Grenzen zu denken. Ich habe die Merkmale eines Staates aufgehoben. Diesen Vorgang rechtfertige ich mit meinem Wunsch und meiner utopischen Vision über die Abschaffung von Grenzen, vor allem jetzt, in einem Augenblick, in dem alle ihre Grenzen verschlossen haben. Damit ist der Reisepass an sich „überflüssig“ geworden. Auf diese Idee bin ich in einem Augenblick gekommen, als ich begriffen habe, dass die Reisepässe aus Österreich und Serbien eine ähnliche Farbe haben, und wenn man die Merkmale auf der Vorderseite auslässt, dann kommen wir zu einer Option, in der wir nicht wissen, um welchen Reisepass es sich eigentlich handelt. Durch diesen Akt kommt es zu einer scheinbaren symbolischen Gleichstellung.
Rag rug (Fleckerlteppich, handgenähter Wandteppich aus aufgetrennter Camouflage-Kleidung, 530 x 380cm, 2017-2020) Aufgetrennte Camouflage-Mode und Militärkleidung wurde unter Beibehaltung der Schnittmuster zu Hügelketten und Bergen vernäht. Diese sind zu einem großen Landschaftsbild kombiniert, das in der tarntechnischen Reduktion eine abstrahierte oder vereinfachte Landschaft darstellt. Camouflage-Kleidung ermöglicht ihren TrägerInnen, sich visuell in eine Landschaft zu integrieren, indem sie deren Oberflächen inkorporieren. In Kombination mit der Vorstellung von Identität und Zugehörigkeit vermittelt die Kleidung auch ein Verteidigungs- bzw. Bedrohungsszenario. Als Mode finden die militärisch konnotierten Muster Eingang in Alltags- und Begegnungsräume. Als Landschaft dargestellt, eröffnet der Wandteppich Themen wie Identifizierung mit und „Besitz“ von Land als einen Aspekt des Konzeptes von Nationalstaaten.
And in the eyes of the hungry there is a growing wrath (Und in den Augen der Hungrigen wächst der Zorn, vierkanalige Audio-Videoinstallation, 06’20″, 2016) Der Titel dieser Audio-Video-Installation ist ein dem Buch von John Steinbeck „Früchte des Zorns“ (1939) übernommener Satz. Dieser epische Roman über die Not, den Exodus, die Ausbeutung und gesellschaftliche Marginalisierung einer Farmerfamilie aus dem Mittleren Westen zur Zeit der Großen Depression in den Dreißigerjahren bildet den Referenzrahmen für Doplgengers Blick auf wirtschaftlich verursachte, historische und zeitgenössische Migrationsströmungen. Doplgenger greift dafür in Aufnahmen des jugoslawischen Fernsehens ein, in denen die zeitlich befristete Wirtschaftsmigration in westeuropäische Länder in den Sechzigerjahren aufgezeichnet wurde.
Everything possible: Serbin Österreicherin (Alles möglich, Installation/auf Papier befestigte Karteikarten, verschiedene Dimensionen, 2020-21) Angebote für Dienstleistungen, Angebote, die Selbstbeschreibungen sind. Seit 2005 sammle ich Stellengesuche. Indem ich den genauen Wortlaut übernehme, mache ich eine Bestandsaufnahme der Realität, des Vorgefundenen und des Formulierten, vereinheitliche die Form und drucke sie auf Karteikarten. Für den engen Rahmen dieses Projekts konzentriere ich mich auf Inserate von serbischen und österreichischen Frauen. Das ist mehr als eine bloße Ansammlung von Material. Es ist eine Darstellung des alltäglichen Leidens in der Gesellschaft. Meine Arbeit entzieht sich der Sensation. Ich nehme den Alltag und seine Abgründe wahr, die nichts Sensationelles haben. Diese Abgründe sind trist, unwichtig, abgestanden. Die Anzeigen, die täglich in Zeitungen und im Internet erscheinen, sprechen von Normalität, einer vermeintlich sicheren Ebene, auf der Konsens herrscht. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich die strukturelle Gewalt in der Masse der Anzeigen: Sie sind Angebote zur Selbstausbeutung. Aussagen, die nur scheinbar sachlich sind, zielen auf Vorurteile und Klischees. Hinter jeder dieser Anzeigen steckt eine Lebensgeschichte, mit allen Unsicherheiten und Identitätsverschiebungen. Einen längeren Text von Nora Sternfeld & Ljubomir Bratic finden Sie unter http://hannahstippl.net/sternfeld-bratic
When I was young and wild (C Print, 20 x 30 cm, 10 x 15 cm, 2019) Als sie erfuhr, dass ich aus Serbien komme, fragte mich eine Studienkollegin von der Akademie der bildenden Künste Wien, wie ich mich denn so als Kriegsverbrecher fühlte. Um die richtige Antwort darauf zu finden, habe ich unsere Familiengeschichte durchkämmt und ein Foto gefunden, das die politische Gesinnung meiner Familie eindeutig aufzeigt. Die Fotografie habe ich dann mit folgendem Text unterlegt: „Mein Vater hat mich vier Jahre vor dem Kriegsausbruch in Kroatien, bzw. fünf Jahre vor dem Krieg in Bosnien fotografiert. Auf meinem Kopf ist seine Mütze der Jugoslawischen Armee, JNA mit dem Stern der Kommunistischen Partei zu sehen, den er daran geheftet hat, als er seinen Wehrdienst leistete. Das Gewehr gehörte meinem Großvater. Er trug es stets bei sich, wenn er als Traktorfahrer das Land bestellte, das davor sein Eigenbesitz gewesen war und das nach der Errichtung der Föderativen Republik Jugoslawien verstaatlicht wurde. Das Fernglas, den Gurt und das Bajonett hatte mein anderer Großvater von einem deutschen Offizier im Zweiten Welkrieg beschlagnahmt. Er hatte ihn gefangen genommen, als er bei den Partisanen gegen die Verbände der Wehrmacht kämpfte, die sich vor dem Andrang der Roten Armee durch Slawonien Richtung Wien zurückzogen.“
Stimmung (Videoinstallation, veränderliche Dimensionen 2021) ist eine Geschichte über Branka, eine Volkssängerin, und Vladica, eine Künstlerin und Eigentümerin der Bar, in der Branka auftritt. Branka ist ein berühmter Star an eklektischen, trendigen Orten an denen sie vor einem breiten Publikum singt: von der Arbeiterklasse bis hin zu Akademikern, von Nationalisten bis hin zu Linken, von Homophoben bis hin zu LGBT- und Queer- Anhängern. Ihre Auftritte bringen nicht nur Leute zusammen, die durch unversöhnliche Gegensätze geprägt sind, sie bieten auch ein Spielfeld für die Entwicklung von gegenseitigem Verständnis. Im Laufe ihrer kathartischen Auftritte werden sämtliche Vorurteile aufgehoben. Vladica ist noch jung, eine fortschrittliche Frau, die in Schweden aufgewachsen ist und mit sämtlichen Tabus der lokalen Gemeinschaft bricht; sie ist häufig eine Zielscheibe von Vorurteilen, sowohl in Serbien als auch in Europa, sowohl wegen der aufgezwungenen politischen Korrektheit derjenigen, die sich selbst für fortschrittlich halten, als auch aufgrund der Beleidigungen seitens jener, die wegen der gesellschaftlichen Neuerungen und Veränderungen verwirrt sind. Diese beiden auf den ersten Blick vollkommen unterschiedlichen Frauen treten gemeinsam auf der Bühne auf und hinterlassen dabei den Eindruck einer starken Schwesternschaft, wodurch nicht nur Frauen, sondern auch alle anderen gestärkt werden. Das Narrativ folgt Brankas Plan, eine Reise nach Wien zu unternehmen, wo sie in örtlichen Bars auftreten will. Dem liegen existenzielle Gründe, aber auch Ehrgeiz zugrunde. In der Form eines sonderbaren Varietés trägt Branka bekannte Abschnitte aus Volksliedern vor, die sie für das Wiener Publikum ausgesucht hat, und Vladica unterstützt sie bei der Umsetzung dieses Ziels.
Julian Turners Installation "Haus der Blumen" (veränderliche Dimensionen, mindestens 5x5 m, 2019) zeigt eine Auswahl der stilistischen Highlights der einstigen Wirkungsstätte und des heutigen Mausoleums von Josip Broz Tito. Zitat, Selbstzitat und Materialzitat geben sich die Hand. Die repräsentativen Säulen der Installation sind gefliest mit Fotos von Kaugummis. Auf einem Sideboard aus Leinwänden tummeln sich Repliken und Neuinterpretationen der Stafetten, die einst am Tag der Jugend von Kinderhand zu Kinderhand durch ganz Jugoslawien getragen wurden, um dem Staatschef die Ehre zu erweisen. Manche von ihnen sind Flaschen. Und das Modell seines Luxuszuges - in diesem Fall eine österreichische Version - dient als Bar. Auf schrullige und feinfühlige Art führt Julian Turner so spleenige Ästhetiken fort, die erst in der Neuinterpretation ihren hintergründigen Charme zu offenbaren scheinen.
Hin und her/Ecstasy (drei Zeichnungen, Bleistift, 33 x 35 cm) Wie können wir uns nach neuen Formen, Symbolen, neuen Worten, neuen Kommunikations-formen zwischen zwei Völkern umsehen?Durch die vorliegenden Zeichnungen wollte ich durch Verwendung von Gestaltungselementen der Komposition und von Kompositionsprinzipien, welche Botschaften (Sprache), sowie Anhaltspunkte und Symbole der Identität eines Landes beinhalten, eine Form der Ähnlichkeit in ihrer Unterschiedlichkeit darstellen, eine neue Wiedererkennung, auf den zweiten Blick. Wie lässt sich die allgemeine Selbstverliebtheit der Völker umgehen, wer hält ihnen einen Spiegel vor, durch den sie daran gehindert werden, die gegenseitigen Ähnlichkeiten in der Art ihres Verhaltens zu erkennen und welche Vorurteile hegen sie gegenüber dem „Anderen“. Hedy Lamarr - Auf den ersten Blick ist sie ein Movie Star – die schönste Frau auf der Welt, und auf den zweiten Blick eine ernstzunehmende Erfinderin. Auf den ersten Blick ist sie Österreicherin oder Amerikanerin, auf den zweiten Blick ist sie staatenlos. Anders als die Wörter, die auf Gegensätze in der Gesellschaft hinweisen, bilden Zusammensetzungen von Wörtern – Pronomen, die wir hier ebenfalls sehen und die wir im alltäglichen Leben wiedererkennen – immer universale Themen, die uns gleichermaßen wehtun und freuen, antreiben und einlullen, doch eigentlich in jeder Hinsicht verbinden.
Im letzten Jahrzehnt ist das Thema Migration zu einem bestimmenden Phänomen öffentlicher Debatten geworden. Die Aufbereitung dieses Themas dient des Öfteren als Instrument rechtspopulistischer Mechanismen. Dabei wird oft übersehen, dass es Vertreibung, Flucht und Migration schon immer gegeben hat und diese für das Erscheinungsbild Europas von maßgeblicher Bedeutung waren und noch immer sind. Der Film „Inđija“ (Dokumentarfilm/Video, 20’, 2020) nähert sich dieser Thematik von einem individuellen, persönlichen Standpunkt aus und versucht dabei einen bestimmen Aspekt von Migration zu erfassen: den des Unerwünschtseins. Die ProtagonistInnen des Films sind sogenannte „Donauschwaben“, eine deutsche Minderheit in Jugoslawien. Da ihnen eine kollektive Verantwortung an den Verbrechen des NS-Regimes zugeschrieben wird, müssen sie ihren Heimatort Inđija, welcher unweit von Belgrad liegt, 1944 verlassen und in Österreich eine Zuflucht suchen. Die Protagonist*innen sprechen über ihre Kindheit in Jugoslawien sowie über ihre Beziehung mit den Menschen in Serbien, vor und nach der Invasion der Nazis auf dem Balkan.
Wie ein Haus, Zeichnung, Tinte auf Leinen, 2019, animiert für diese Ausstellung Die Initialarbeit für diesen Bewerbungsbeitrag wurde in der Galerie des Salons am Museum der zeitgenössischen Kunst Belgrad bei der Ausstellung „Conquistador Aus Kultur und Kunst“ im Jahre 2019 vorgestellt. Die Zeichnung „Wie ein Haus“ wurde nach der Zeichnung von Richard Neutra, einem österreichischen Architekten, der sich im Laufe des Ersten Weltkrieges, 1915, in Trebinje aufhielt, angefertigt. Ihr lagen aber auch Dokumente über Freuds Reise nach Trebinje im Jahr 1898 zugrunde. Freud weilte im September 1898 bei seiner Reise entlang der Adria in Dubrovnik, von wo aus er nach dem Zureden seines Verwandten, eines in der Militärgarnison in Trebinje stationierten Arztes, einen eintägigen Ausflug nach Trebinje unternahm, um dort nach Möglichkeit die Überreste des Hauses eines Beys (und gegebenenfalls eines Harems, von dem er fasziniert war) sowie der Lebensweise darin zu besichtigen. Wichtige Texte von Freud sind nach diesem Besuch entstanden, dem er in seinen Briefen und Texten keine allzu große Bedeutung beimisst, doch der Besuch selbst war bisweilen mythisch und unklar datiert. Die Worte „Herr, was ist da zu sagen? Ich weiß, wenn er zu retten wäre, hättest du ihn gerettet” zeugen von dem vollen Vertrauen, den die lokalen Bewohner in den Arzt, aber auch in das Schicksal setzten. Von der Zeichnung aus werden Links zu Fotografien auf Ansichtskarten aus Trebinje und Häuser aus dem 19. Und 20 Jahrhundert, aber auch auf wissenschaftliche Texte über Architektur weiterverweisen, in denen sich – in der Absicht, Neutras Zeichnung zu erläutern – Fehler über Ort eingeschlichen haben (Arthur Drexler, Thomas S. Hines, “The Architecture of Richard Neutra: from International Style to California modern" sowie Architectural History 59 (2016). Ein Link soll ferner zu dem Originaltext von Freuds Psychopathologie des Alltagslebens führen.
Aktion, Video, 6´30, Wien, 2017 Ausgangspunkt des Films, sind arbeitsuchende Männer, die ich am „Arbeiterstrich“ auf der Triesterstraße in Wien antraf. In jeder größeren Stadt gibt es diese Orte, an denen Menschen, die ansonsten keine Möglichkeit haben, auf legale Art und Weise zu arbeiten, auf eigene Faust Dienstleistungen anbieten. Es sind moderne Tagelöhner, die in keinem festen Arbeitsverhältnis stehen und bereit sind, für einen geringen Stundensatz jede noch so kleine handwerkliche Tätigkeit zu verrichten. In dieser prekären und risikoreichen Lage, stehen sie abseits der Gesellschaft. In der Auseinandersetzung mit den Arbeitern stellte ich mir die Frage, wie groß deren Potential sei, als Kollektiv aktiv zu werden und gegen ihre Arbeits- und Lebensbedingungen aufzubegehren? Wie könnte ein Widerstand dieser Männer aussehen? Welche Formen könnte er annehmen und mit welchen Mitteln könnte er umgesetzt werden?
Die Zusammenhänge und gegenseitigen Einflüsse zweier, oder in diesem Fall dreier Völker: der Deutschen, der Österreicher und der Serben, spiegeln sich am deutlichsten in der Sprache wider. Diese gegenseitigen lexikalischen Einflüsse sind das Ergebnis von unter verschiedenen geschichtlichen Bezugsrahmen veränderlichen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen den Völkern. Das 30 Minuten lange Video "Ausgewanderte/ Eingewanderte Wörter" (2019) stellt eine persönliche Reflexion über eine lange Untersuchung zum Thema Kontakt zwischen zwei Sprachen, der deutschen und der serbischen, dar. Dabei handelt es sich um eine Animation von Wörtern/ Wörterbüchern der Germanismen, Slawismen und Serbismen. Der Ausgangspunkt für dieses Werk war das Buch Deutsche Einflüsse in unserer Sprache des Germanisten Miloš Trivunac (1876-1944) aus dem Jahr 1937, einem angesehenen Germanisten, Professor und Mitbegründer des Lehrstuhls für deutsche Sprache und Literatur an der Belgrader Universität. Wenn man sich das Video ansieht oder in dem Wörterbuch liest, dann lässt sich ein Einfluss in sämtlichen Bereichen, angefangen von Technik, über Gastronomie, Militärbereich, Politik… bis hin zu Kultur nicht leugnen. Die Sprache wird von der Schrift geprägt deren visuelle Erkennbarkeit sich mit dem Bewusstsein über die nationale Identität allgemein weiter durchsetzte. Vor diesem Hintergrund wurden die Schriftarten Zentenar Fraktur OsF und Miroslav gewählt. Das Video Ausgewanderte/Eingewanderte Wörter wurde 2019 auf der gleichnamigen Ausstellung / Installation im Goethe Institut in Belgrad vorgeführt. Die Installation Ausgewanderte/Eingewanderte Wörter, bildet die Grundlage für das animierte GIF Lateinisch vs Kyrillisch (Latinica vs Ćirilica / Lateinisch vs Kyrillisch / Latin vs Cyrillic), das für Online-Ausstellung Na drugi pogled // Auf den zweiten Blick // At Second Glance konzipiert wurde. Näheres dazu unter: http://www.mirart.xyz/index.php/project/ausgewanderteeingewanderte-woerter/2/ http://www.mirart.xyz/index.php/project/latinica-vs-kyrillisch/
Der Druck „malo morgen“ (Siebdruck auf Stücken einer österreichischen Landkarte, gedruckt mit Unterstützung von Matrijaršija in Belgrad, 12 x 21,5 cm, 2020) thematisiert die kulturellen Verflechtungen zwischen Serbien und Österreich, durch Sprache sichtbar gemacht. Mit Sprache lässt sich in der Tat viel erzählen... Im Serbischen und (Österreichisch-) Deutschen tauchen viele gleiche oder ähnliche Wörter auf – Reminiszenzen an die Geschichte, Hinweise auf interkulturellen Austausch. Einige dieser sprachlichen Vermischungen stammen aus der Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie, andere sind Hinweise auf Einwanderungsbewegungen aufgrund wirtschaftlicher Faktoren oder der Flucht vor dem Krieg in Ex-Jugoslawien. Während meiner Aufenthalte in Serbien erlebte ich viele überraschende Momente, in denen ich diese gemeinsamen Wörter entdeckt habe. Die Redewendung „malo morgen“ hat mein Interesse geweckt – sie ist wie ein sprachlicher Remix: Das Wort „malo“ ist serbisch und bedeutet „klein“ oder „ein wenig“; das Wort „morgen“ ist deutsch und bedeutet „der nächste Tag“. Diese beiden Wörter werden kombiniert, um auszudrücken, dass etwas sehr unrealistisch ist, so zu passieren – meist übersetzt mit „niemals!“, „in deinen Träumen!“. Bei einem meiner Streifzüge durch Belgrad, im Stadtteil Deponija, fand ich eine zerknitterte Landkarte am Boden. Aufgeregt hob ich sie auf, in der Vorstellung, etwas Exotisches gefunden zu haben. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass der Zufall einen Scherz für mich parat hatte: es war eine Karte von Österreich. Was für ein geeigneter Untergrund, um „malo morgen“ darauf zu drucken!
Another Europe (einkanalige Installation (HD-Video), 54’47’’, 2020) ist ein Essayflm in der Tradition des feministischen Experimentalfilms. Der Film ist in 3 Abschnitte gegliedert und durch die Zeit vor und nach Corona (oder vielmehr währenddessen) geprägt: I. Sommer 2019, II. Winter 2020 und schließlich III. Frühling 2020: der Bruch durch COVID-19/die lange Reise nach Hause. Eine weibliche Stimme (Künstlerkollegin Kathi Hofer) gibt Eindrücke und Wahrnehmungen wieder, Persönliches und Historisches, die Grenzen von Dokumentation und Erinnerung verschwimmen. Assoziative Gedankenräume werden geschaffen. Stichwort: queer storytelling. Eingangs wird über die Verknüpfung von Ort und Identität reflektiert. Wie verbindet sich persönliche Geschichte mit Geographie (Place is integral to personal identity), Stichwort: Her story and space. Im zweiten Teil geht es verstärkt um die Sehnsucht nach der Ferne? Wie ist das mit sich fehl am Platz fühlen? Wo ist eigentlich zu Hause? Wie verbinden sich diese Gefühle mit der eigenen Identität? Dann, ganz plötzlich passiert mitten in diesem Europa, mitten in dem Film, den ich eigentlich schon zu Ende gedacht hatte, die Krise, mit der keiner gerechnet hat und die alles auf einen Schlag verändern wird. Die Reise quer durch Europa wird nunmehr schlagartig zur Reise zurück nach Wien, durch ein völlig verändertes Europa, ganz anders als zu Beginn des Films. Es geht jetzt nur noch um das Ankommen, zu Hause und bei sich selbst. Die visuelle Struktur der Arbeit öffnet eine weitere Ebene und bietet alternative Lesarten an. Zu sehen sind Bilder in Bewegung. Landschaftsaufnahmen, die während der langen Reisen aufgenommen wurden, zeigen ein Bild von einem anderen Europe, jenseits von Touristenrouten. Die Soundkompositonen von Rutger Zuydervelt (Machinefabriek) unterstreichen den atmosphärischen Charakter der Arbeit. Bilder des Projekts Another Europe (Auswahl) - Fotodokumentation: Reise Sommer 2019 und Winter 2020
Wien Wien (Video, 7’48“, 2021) Der vorliegende Videobeitrag stellt verschiedene Einstellungen gegenüber Österreich und dem Selbst dar. Dominierend ist die Sichtweise von Großmutter Milka, die in Wien kennt und deren Erlebnisse mit der Vorstellung des idealen Anderen verstrickt sind. Andere Meinungen werden durch Kommentare von Großmutter Milena, die noch nie in Österreich gewesen ist, sowie durch das Lachen der anderen Hausinsassen dargestellt, die Oma Milka mit einer gewissen Vorsicht zuhören. Die Vorurteile, die sich hier offenbaren, betreffen sowohl die Serben als auch die Österreicher. Die Vorurteile über die Österreicher sind positiv und stark idealisiert. Österreich erscheint als Utopie, dahingegen wird Serbien als negatives Beispiel dargestellt. Und doch stellen sich Risse in der Geschichte ein. Durch die Äußerungen von Großmutter Milka wird deutlich, dass sie sich dieser Utopie nicht anschließt und dass sie dem serbischen ländlichen Diskurs zuzurechnen ist. Bei diesem Beitrag wurde eine Identitätskluft aufgezeigt, mit der sich alle identifizieren können. Großmutter Milka ist zwischen zwei Kulturen hin- und hergerissen. Einerseits würde sie gerne zum Milieu der Stadt Wien dazugehören, doch andererseits bestätigt sie durch ihre eigenen Äußerungen gewisse Vorstellungen über die Serben und deren Kultur.
In der Videoarbeit BGTX (Video, HD, 19’, 2018) richtet Ulrich A. Reiterer seinen Blick auf den Wandel von Arbeit im Zeitalter der Shared Economy und auf den Einfluss von Digitalität und Technologien wie Big Data und Machine Learning. Auf der Suche nach Protagonisten im öffentlichen Raum setzte er sich mit Taxifahrer/innen und Trafikant/innen auseinander. Die Protestaktionen und Blockaden einiger hundert Fahrer/innen gegen Online-Vermittlungsdienste zur Personenbeförderung bildeten die Ausgangsbasis für filmische Essays. Er begleitete einige Fahrer/innen auf deren Heimweg und ließ sich Gebäude und Orte zeigen, wie auch historische Ereignisse und Zusammenhänge kommentieren und erklären. Die Erzählungen der Fahrer/innen und deren Wahrnehmung der Stadt und der Architektur Belgrads formen eine spezielle Perspektive, die in der Etablierung eines fiktiven Charakters mündet. Die mit der Hilfe von Machine Learning algorithmisch generierte Off-Stimme führt uns auf gedachten Linien durch das Thema und durch die Stadtlandschaft.
Das Triptychon „Der Makel“ (Digital, Grafit, Öl auf Papier, 40 x 30 cm) basiert auf erkennungsdienstlichen Polizeifotos, die von Walter Kratner mit Graphit und Öl überarbeitet wurden und besonders eindringlich beklemmende gesellschaftspolitische Aspekte in den Vordergrund stellen. Die Bilder zeigen, wie wir „andere“ sehen und zu welchen Klischees und Vorurteilen wir greifen, um „andere“ einordnen zu können. Handelt es sich bei den Abgebildeten um Mörder_innen, Unschuldige, Vergewaltiger oder eines Bagatellverbrechens Schuldige? Die Nationalität oder der kulturelle Hintergrund lässt sich nicht einmal auf den zweiten Blick vermuten. Die Fahndungsfotos stellen die verdächtigen Personen in genormter standardisierter Position dar, wie sie von Passfotos hinlänglich bekannt ist. Der individuelle Gesichtsausdruck bleibt trotzdem authentisch erhalten und lässt sich nicht vereinheitlichen oder abstempeln. Hier zwingt uns der Künstler, indem er das Foto mit Bleistift behutsam überarbeitet, genauer hinzusehen. Welchen Vergehens könnte sich der oder die Abgebildete schuldig gemacht haben? Welche Tragödien stecken oft hinter einer verbrecherischen Tat? Verzweiflung? Hass? Liebe? Gewalt? Alkohol oder Drogen? Menschliches Versagen? Oder gar ein Irrtum?